Sonntag, 4. Juni 2017

Wenn der Ball ein totes Schaf ist.



So vielseitig der Mai war, so vielseitig war auch das Wetter.  Während ich Anfang Mai über den 1. Mai Feiertag optimistisch gegenüber des Wetters zum campen in eines der wenigen eingerichteten Klettergebiete fuhr, wurden wir gegen Nachmittag mit ziemlich frostigen Temperaturen, Regen und nachts tatsächlich Schnee überrascht. Ich habe in meinem Leben noch nie so gefroren wie in dieser Nacht. Als ich in der fast schlaflosen Nacht aus dem Zelt blickte, war alles weiß…  Dennoch war es ein sehr schöner Ausflug und ein super Klettergebiet mit schönen Routen.









Wenige Tage später in Bischkek: bei über 30 Grad schmelzen wir in Bischkek dahin. Der eiskalte Campingausflug ist gefühlt Monate her. Es ist der 9. Mai. DER Feiertag für postsowjetische  Länder. Der „ Tag des Sieges“ (auf russisch: День Победы [djen Pobedi]  )über Deutschland. Das Ende des zweiten Weltkrieges. Bereits in der Woche davor, sah man überall Autos mit Aufklebern geschmückt auf denen übersetzt stand „Opa, ich bin stolz auf dich!“  Am 9. Mai selbst war einiges in Bischkek los. Die großen Plätze waren voll mit kitschiger und Sowjetischer Dekoration für Familienfotos mit Männern in UdssR Uniformen und der Kalaschnikow unterm Arm.



Auch im „Hippodrome“, DEM kirgisischen „Sportplatz“ für normadisch traditionelle  Reiterspiele gab es an diesem Tag einiges zu sehen. Bereits an den Toren zu der „open Air Reiterarena“  hatte ich das Gefühl vor den Toren eines deutschen Fußballstadions an einem Samstagnachmittag Spiel zu stehen. Fast ausschließlich Männer waren zu sehen, die pöbelnd versuchten die letzten Tickets zu ergattern. Wir, mit dem Touristenbonus schafften es trotz Ausverkauf noch Tickets zu ergattern. Im Stadion drinnen kam ich aus dem Staunen nicht mehr raus. So viele Zuschauer (die Frauenquote betrag ca. 0,2%) die pfiffen und aufsprangen wie bei einem Aufstiegsspiel in der Westkurve auf dem Betzenberg.
Nur ,dass es sich bei der ganzen Sache nicht um ein Fußballspiel mit einem Ball und zwei eckigen Toren handelte. Statt in Fußballschuhen über Rollrasen zu rennen, ritten die Mitspieler auf Pferden in gewaltigem Tempo über das  Feld. Statt eckigen Toren gibt es 2 Runde Plattformen, statt dem Ball spielt man mit dem Kopflosen Körper eines vorher getötetem Schafes. Das Ziel ist es das Schaf auf die gegnerische Plattform zu bringen. Die Siegermannschaft darf das Schaaf abends essen.  Die Zweikämpfe sahen oft nach Mord und Totschlag aus -für Reiter und Pferd. Rund um das Stadion wurden kalte Getränke und Sonnenblumenkerne, sowie Sonnenhüte gegen die knallende Hitze verkauft. Nicht, dass ich ohnehin damit überfordert war all diese Eindrücke aufzunehmen und zu sortieren, kam auch noch ein kirgisisches Kamerateam auf mich zu. (Am nächsten Tag sprachen mich dann meine Kolleginnen auf meinen super unvorbereiteten, auf schlechtem russisch hingenuschelten Fernsehbeitrag an…)




Komisch..die Polizisten hatten irgendwie immer die beste Sicht..........

Wer die Frau unter ihnen findet bekommt einen Preis!



Als Deutsche an diesem Feiertag unterwegs zu sein, war kein Problem. Im Gegenteil. Deutschland ist hier eines der beliebtesten Länder. Jeder Kirgise, jede Kirgisin, die ich treffe kann mir etwas zu Deutschland sagen, kennt ein paar in der Schule gelernte deutsche Wörter, war für ein Au pair Jahr selbst in Deutschland oder träumt in naher Zukunft nach Deutschland zu gehen. Jeder zweite fragt mich ob ich Deutschunterricht für die eigenen Kinder geben kann. Deutschland- das Paradies. Deutschland- der Ort an dem es allen gut geht. Deutschland- der große Traum?! Für mich wirft das immer wieder Fragen auf.  In Deutschland hatte ich nie das Gefühl, in DEM Paradies zu leben..


Seit ziemlich genau 9 Monaten arbeite ich nun bei Ümüt-Nadjeshda. Und in 1,5 Monaten fangen die großen Ferien an. Das heißt auf der Arbeit herrscht für mich bereits Abschiedsstimmung. Es ist ein seltsames Gefühl. Gerade letzte Woche war das große Sommerfest „последний звонок“ [posledniy zvonok] heißt „Das letzte Klingeln“, mit dem das offizielle Schuljahr beendet wurde. Die nächsten 1,5 Monate kommen diejenigen Kinder, die noch nicht in den Ferien sind, ausschließlich zum sogenannten „Lager“ (vergleichbar mit Ferienspielen oder Sommercamp). Wir werden viele Ausflüge machen, Spiele spielen und eine Woche auf Klassenfahrt an den Issyk-Kul See fahren.


Desweiteren möchte ich stolz von unserem vorgestrigen Projekt erzählen: Die „Social Disco“, ein Projekt, das wir Freiwilligen von Ümüt-Nadjeshda vollkommen selbstständig organisiert und sehr erfolgreich durchgeführt haben.
Die Social Disco soll ein Event sein, das unseren Betreuten einen schönen Partyabend mit anderen Menschen ermöglicht. Da fast alle unserer Betreuten das ganze Jahr niemanden anderes als sich gegenseitig und die Betreuer vor Gesicht bekommen, so gut wie nie ihre Häuser oder Wohngruppen verlassen können, haben wir uns überlegt die Party einfach zu ihnen zu holen. 3 Wochenlang machten wir Reklame bis zum Abwinken. In allen sozialen Netzwerken teilten wir unsere Veranstaltung und luden unserer mittlerweile gewachsenen Freundes- und Bekanntenkreis ein. Auch andere Einrichtungen mit Menschen mit Behinderung kamen zu unserer Feier.
Wir organisierten alles selbst. Von der Finanzierung bis zum Programm. Produzierten eigene alkoholfreie Getränke und Snacks. Der Partyort war der große Saal des Korzcak Zentrums, den wir mit den Betreuten gemeinsam dekorierten.
Der Abend verlief super! Es kamen mehr Leute als erwartet um mit unseren Betreuten zu feiern. Es gab ein super Programm, mit von uns angeleiteten Spielen und Tänzen. Auch einige unserer Gäste trugen spontan tolle Showeinlagen zu unserem Programm bei. Natürlich trat auch unsere bereits berühmte Schultanzgruppe Tumar auf, die trotz Rollstühlen atemberaubende Break Dance Shows hinlegen und mittlerweile weltweit unterwegs sind.









Der ganze Abend erfüllte mich mit Freude und ein bisschen Stolz. Es war für mich ein  kleines Finale, zumindest was meine Rolle als Freiwillige angeht. Es zeigte mir, was wir alles bewegen können und wie viele Kontakte und Netzwerke wir in der Stadt schon haben. Viele Gäste und vor allem auch Betreute dankten uns freudestrahlend für diesen gelungenen Abend. Wir hoffen das ganze zum einem laufenden Event zu machen, das wir an die nächste Freiwilligengeneration (tatsächlich kommen doch ein paar wenige) weitergeben zu können.

Nächste Woche werde ich einige Tage im Kindergarten aushelfen, was sicher nochmal eine richtig stressige und anstrengende Aufgabe sein wird.  Danach wird der Arbeitsalltag langsam aber sicher bis zum 15. Juli auslaufen. Und dann? Dann habe ich 1,5 Monate Zeit zu reisen, meine Schwester und ihr Freund werden mich besuchen, und ich am 30. August soll dann alles vorbei sein? Der Gedanke treibt mich die letzten Wochen öfter in Gefühlsausbrüche und Schrecken und manchmal aber auch Vorfreude. Diese Widersprüche unter einen Hut zu bekommen ist sehr schwer für mich.

Ich danke euch fürs lesen, euer Interesse und eure Unterstützung, die ich auf verschiedenste Weise immer wieder erfahren darf! DANKE und bis bald

Eure Lissa!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen